Grüner Knollenblätterpilz Amanita phalloides

Grüner Knollenblätterpilz Amanita phalloides

Knollis als Mordwaffe - mal  real, mal fiktional
Eine Literaturbesprechung von Martin Wagner, Kirchwaldstr. 32, 68305 Mannheim

Wer gezielt Pilze suchen will, braucht neben einem soliden Grundwissen und etwas Glück vor allem einen scharfen Blick und einen ebenso scharfen Verstand, manchmal sogar geradezu detektivischen Spürsinn. Genau diese Eigenschaften zeichnen auch den erfolgreichen Kriminalisten aus - insofern müßten Hobby-Mykologen ausgezeichnete Hobby-Kriminologen sein und in der pilzarmen Zeit scharenweise von Waldläufern zu Krimilesern mutieren. Und wenn dann noch Giftpilze als Mordwaffe eingesetzt werden, wird sich selbst der distanzierteste Pilzfan unversehens in einen leidenschaftlichen Detektiv verwandeln.

Krimi-Autoren verwenden in der Regel sehr viel Mühe auf die Konstruktion besonders raffinierter und heimtückischer Mordmethoden. Obwohl tödlich giftige Pilze dieses Kriterium par excellence erfüllen, werden sie erstaunlich selten als Tatwaffe verwendet. Deshalb verdienen die wenigen Ausnahmen ungeachtet ihrer literarischen Qualität besondere Beachtung.
Janet Laurence: Gift für liebe Gäste.
Ein Darina-Lisle-Krimi, Düsseldorf/München 1998 (ECON-TB); 370 S., DM 12.-

Darina Lisle ist eine begnadete Köchin und eine begeisterte Amateur-Detektivin - wo sie auftaucht, wird nicht nur exzellent gekocht, sondern ebenso gekonnt gemordet. In ihrem vierten Fall heuert sie beim renommiertesten Party-Service von ganz London an, der von drei jungen Frauen betrieben wird - der ehrgeizigen Eve, der liebenswerten Claire und der pragmatischen Jo. Nun fehlt leider nur noch eine veritable Leiche, doch die wird erst auf Seite 85 serviert.

Den  Ausgangspunkt des tödlichen Geschehens bildet eine Pilzwanderung unter sachkundiger Führung,
bei der Pilze für das Jubiläumsessen des Catering-Betriebs gesammelt werden.  Eve will „die Pilze sautieren, dann mit einer leichten Walnuß-Vinaigrette anmachen und mit einer Beilage aus warmer Hühnerleber in Madeira und einem  kleinen gemischten Salat kalt servieren“ (S. 82). Dieses kulinarische Highlight wird für Claire zur Henkersmahlzeit: Sie erkrankt vermeintlich an einer schweren Magen-Darm-Grippe, die viel zu spät als Knollenblätterpilz-Vergiftung erkannt wird - nach vier qualvollen Tagen ist Claire mausetot. Nun schlägt die große Stunde der Darina Lisle. Es fehlt zwar nicht an Tatverdächtigen, aber an einem plausiblen Motiv und so ziehen sich ihre langwierigen Ermittlungen äußerst schleppend über 240 Seiten hin, bis schließlich ein zweiter Giftmord allmählich Licht in das Dunkel bringt....

Dieser Krimi wird gewiß nicht als Meisterwerk in die Annalen der englischen Kriminalliteratur eingehen, dafür ist er viel zu blutarm, langatmig und geschwätzig. Auch das literarische Niveau ist recht bescheiden - der Text ist gespickt mit Plattitüden („Auch der Donnerstag begann in aller Frühe“, S. 274) und Stilblüten („Darinas Stimme war weich und verführerisch wie eine getrüffelte Gänseleberpastete“, S. 104). Doch sollte man in diesem Fall nicht zu beckmesserisch sein und lieber auf die positiven Aspekte verweisen: Janet Laurence kennt sich in der Gastronomieszene blendend aus und ihre Schilderung der Pilzwanderung ist ebenso realistisch wie die Beschreibung des Phalloides-Syndroms. Somit ist dieser Krimi für Pilzfreunde zum Überprüfen ihrer pilzkundlichen  und kulinarischen Kenntnisse ebenso gut geeignet wie zum Testen ihrer detektivischen Fähigkeiten und daher - mit Einschränkungen - durchaus zu empfehlen.

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Während in fiktiven Mordgeschichten  die Täter zumindest logisch stringent und psychologisch konsequent handeln, weisen reale Mordfälle eine sehr viel kompliziertere Struktur auf,  die mit moralischen Maßstäben und gesundem Menschenverstand häufig nicht mehr zu erfassen ist.

Ein solcher Fall - ein haarsträubender Gattenmord mit injizierten Knollenblätterpilzen

- erregte Anfang der 90er Jahre in der Schweiz großes Aufsehen, tiefe Betroffenheit und blankes Entsetzen.
Erwin Koch: Die Abschaffung des Albert T.; in Spiegel Special 5/1998, S. 106 - 123. 20457 Hamburg,  Brandstwiete 19, & 040/3007-2948

Fällt es schon schwer, den unbeschreiblichen Leidensweg des Albert T. emotionsfrei zu schildern, so ist es schier unmöglich, die Psyche und das Verhalten der Täter und mehr noch des Opfers zu verstehen. Deshalb hier nur die elementaren Fakten: Nachdem sie ihren hochintelligenten, aber lebensunerfahrenen und ihr hörigen Ehemann physisch, psychisch und finanziell ruiniert hat, beschließt die ebenso leichtlebige wie skrupellose junge Frau, ihren nun überflüssig gewordenen Gatten „abzuschaffen“. Gemeinsam mit ihrem Liebhaber  erprobt sie an dem wehrlosen Opfer die unterschiedlichsten Gifte - Schlaftabletten, Betäubungsmittel, Heroin, schließlich Giftpilze, doch der Mann überlebt alle Anschläge. Erst als ihm die beiden mehrere Milliliter Saft von Grünen Knollenblätterpilzen injizieren, findet das Martyrium des  Albert T. sein tragisches Ende.

Erwin Koch hat diesen beispiellosen Mordfall akribisch recherchiert, und er schildert ihn auf die wohl einzig mögliche Weise, indem er die  ermittelten Fakten chronologisch aneinanderreiht und sich dabei jeder subjektiven Wertung enthält. Trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - entfaltet sein dokumentarischer Bericht eine unheimliche suggestive Wirkung, der man sich kaum entziehen kann.

Obwohl dieser Tatsachenbericht wahrlich nicht leicht zu verdauen ist, sollte er für jeden Pilzsachverständigen zur Pflichtlektüre werden - als eindringliche Mahnung, daß im Zweifelsfall eben nicht nur die vorgelegten Pilze, sondern auch die Rat suchenden Klienten gründlich überprüft werden müssen. Der eine oder andere unfreiwillig in diesen Fall involvierte Pilzberater aus der Schweiz kann davon ein trauriges  Lied singen.
 
Erwin Koch: Die Abschaffung des Albert T.; in Spiegel Special 5/1998, derzeit online in voller Länge gratis zu lesen.
Pilzliche Belletristik u.a. mit dem Roman "Gift für liebe Gäste" von Lanet Laurence.

Tintling